07.05.2020
Wimpernseren auf dem Prüfstand: Wundermittel oder Augenwischerei?
Als die Chinesin You Jianxia aus der Millionenstadt Changzhou 2013 beschloss, sich für viele Monate in die Natur zurückzuziehen, begannen ihre Wimpern zu wachsen. Mit sagenhaften 12,4 Zentimeter reichen sie ihr heute fast bis zum Kinn. Damit ist sie wahrscheinlich die Frau mit den längsten Wimpern der Welt. So berichtet es das Guinness Buch der Rekorde. Aber Hand aufs Herz: Würden wir uns nicht bereits mit guten ein bis 1,5 Zentimeter zufriedengeben? Wimpernseren scheinen dafür das probate Mittel zu sein. Sie sollen das natürliche Wachstum der Wimpern fördern und zu einem voluminösen Wimpernkranz und langen Wimpern verhelfen. Doch was ist dran an diesen Werbeversprechen? Ist die Anwendung unbedenklich? Und wie genau wirkt ein Wimpernserum überhaupt?
Wie aus einer Nebenwirkung ein Erfolgsschlager wurde
Am Kosmetikmarkt ist das Mittel noch verhältnismäßig jung. Es ranken sich verschiedene Geschichten um seine Entstehung. Die eine besagt, dass ein amerikanischer Arzt in den 1990er-Jahren nach der Krebserkrankung seiner Frau nach einem Mittel forschte, das den Haarausfall verhindern sollte, der zumeist mit einer Chemotherapie einhergeht. Die andere, weit häufiger verbreitete, ist im selben Zeitraum im Bereich der Augenheilkunde verankert. So stellten Glaukom-Patienten – also Menschen, die unter Grünem Star leiden und zur Senkung des erhöhten Augeninnendrucks spezielle Augentropfen verschrieben bekommen – schon nach wenigen Wochen der Anwendung ein verstärktes Wimpernwachstum fest. Das führten die Mediziner auf das in dem Medikament enthaltene Prostaglandin zurück. Prostaglandine sind Gewebshormone, die in fast allen Organen vorkommen.
Diese zufällig entdeckte Nebenwirkung machte sich zunächst die Pharmaindustrie zunutze und entwickelte das Wimpernwachstumsmittel Latisse auf Basis des Wirkstoffs Bimatoprost, ein Prostaglandin-Analoga, also eine verwandte chemische Verbindung. Behandelt werden sollen mit dem verschreibungspflichtigen Medikament jedoch allein eine krankhafte Wachstumsstörung der Wimpern.
Fakt ist: Auch die Kosmetikindustrie witterte eine Marktlücke und zog schnell nach. Heutzutage gibt es unzählige nicht verschreibungspflichtige Wimpernseren auf dem unübersichtlichen Markt für rein kosmetische und nicht medizinische Zwecke. Da der Begriff „Wimpernserum“ selbst nicht geschützt ist, gibt es für die Inhaltsstoffe und den Grad der Wirksamkeit keinerlei Vorschriften. So unterscheiden sich nicht nur die Produkte, sondern auch die Preise erheblich voneinander. Sie richten sich nach der individuellen Zusammensetzung des jeweiligen Serums. Verantwortlich für Ihre schönen, langen Wimpern ist also immer ein Mix aus verschiedenen Inhaltsstoffen – und die Qual der Wahl wird sich vermutlich auch mit der Kostenfrage lösen lassen.
Was ist drin: Sind Hormone am Auge nicht gefährlich?
Nicht alle Wimpernwachstumsseren enthalten Bimatoprost oder andere Prostaglandin-Derivate. Marken wie Orphica, Revitalash oder SA3 verwenden neben den synthetischen Analoga auch ergänzend oder ersatzweise weitere Stoffe, denen wachstumsfördernde Eigenschaften nachgesagt werden. So sollen natürliche Bausteine wie Vitamine, Biotin oder Proteine das Wachstum Ihrer Wimpern anregen, Panthenol für die notwendige Pflege sorgen und Hyaluronsäure zusätzlich Feuchtigkeit spenden und gegen Falten wirken. Nicht zuletzt finden Sie häufig auch Konservierungsmittel in den kosmetischen Boostern, um die Mittel keimfrei zu halten. Die Lektüre des Beipackzettels kann bisweilen etwas langatmig sein. Wenn ein Serum Prostaglandine enthält, erkennen Sie das in der Regel am Namenszusatz „Prost“.
Stärken
Schwächen
Geduld gefragt: Wie trage ich das Wimpernserum auf und wie lange wende ich es an?
Das Serum für die Wimpernverlängerung ist ein zähflüssiges bis flüssiges Gel, das Sie wie einen Eyeliner mit einem Pinsel dünn auf Ihre Lider auftragen. Achten Sie darauf, dass das Auge selbst und andere Hautstellen mit dem Mittel nicht in Berührung kommen. Nach der Einwirkzeit können Sie wie gewohnt Ihr Make-up auftragen. Manche Mittel können Sie sogar auf Ihre Augenbrauen auftragen.
Drei Schritte auf dem Weg zu Ihren Traumwimpern:
- Abschminken:
Reinigen Sie Ihre Augenpartie gründlich und entfernen Sie Make-up und Schminke von Augenlidern, Wimpern und Augenbrauen. Kosmetikreste im Gesicht können die Wirksamkeit beeinträchtigen. - Auftragen:
Tauchen Sie die Pinselspitze in die Flüssigkeit und ziehen Sie den Pinsel entlang der Wimpernlinie vom inneren zum äußeren Augenwinkel. Wiederholen Sie dieses Vorgehen an allen vier Wimpernkränzen. - Regelmäßigkeit:
Wenden Sie das Serum regelmäßig an, jedoch nur so häufig und so lange, wie es der Hersteller empfiehlt. Zwar setzt die Wirkung bereits mit dem ersten Auftragen ein, das gewünschte Ergebnis werden Sie aber erst nach vier bis sechs Wochen erreicht haben.
Die Haarpracht rund ums Auge ist jedoch nicht von Dauer. Setzen Sie die Behandlung ab, werden Ihre Wimpern nach rund vier bis acht Wochen wieder zu ihrer ursprünglichen Länge und Dichte zurückkehren. So lange dauert es ungefähr, bis die behandelten Wimpern wieder ausfallen.
Kann auch ins Auge gehen: Wirksamkeit, Verträglichkeit, Nebenwirkungen
Zwar wenden Sie Wimpernserum äußerlich auf der Haut an, doch das Mittel wirkt erst unter der Haut. Die Wirkstoffe dringen an den Haarwurzeln in die Haut ein und erreichen die Haarfollikel. Darunter versteht man die Strukturen, die die Haarwurzel umgeben und die Haare in der Haut verankern. Hier aktiviert das Mittel Rezeptoren, die Botenstoffe ausschütten und das Signal zum Wachstum geben.
So effektiv diese Methode der Wimpernverlängerung ist, so reich an Nebenwirkungen ist sie auch. Es wird von Brennen, Jucken, Augenentzündungen und verschleiertem Sehen berichtet. Laut Studien können Prostaglandine darüber hinaus die Pigmentierung des Auges verändern. Es könnten sich also zum Beispiel Flecken auf der Iris bilden. Auch stehen die hormonhaltigen Mittel im Verdacht, das Fettgewebe am Lid zu verändern und sogar die Fortpflanzungsfähigkeit von Frauen zu beeinträchtigen.
Ich trage Kontaktlinsen – muss ich auf Wimpernserum verzichten?
Grundsätzlich steht der Verwendung eines Wimpernserums auch Kontaktlinsenträgerinnen nichts im Wege. Tragen Sie das Mittel mindestens 15 Minuten vorher auf, bevor Sie die Kontaktlinsen einsetzen. Nicht selten aber entstehen plötzlich Unverträglichkeiten der Linsen. Vor allem weiche Kontaktlinsen können sich mit den an oder im Auge befindlichen Substanzen anreichern, was die Beschwerden noch verschlimmern kann. Eintageslinsen sind in diesem Fall besser als zum Beispiel Monatslinsen, da Sie diese häufiger austauschen. Sie können auch zu formstabilen Kontaktlinsen greifen, die aufgrund ihrer festen Beschaffenheit weniger Serum aufnehmen. Bei anhaltenden Problemen raten wir Ihnen, einen Optiker oder Augenarzt aufzusuchen.
Manchmal treten gerade in den ersten Tagen der Anwendung Reizungen am Auge auf, die in der Regel nach ein paar Tagen wieder verschwinden. Stellen Sie fest, dass die Beschwerden anhalten, setzen Sie das Mittel am besten umgehend ab und warten mit einer erneuten Anwendung, bis die Reaktionen abgeklungen sind. Zögern Sie nicht, einen Augenarzt zu Rate zu ziehen, wenn die Probleme anhalten.
Niemals sollte Wimpernserum direkt in Ihr Auge gelangen! Falls doch: Spülen Sie Ihr Auge umgehend mit lauwarmem Wasser aus!
Weniger ist mehr! Daher unser Rat: Wenn Sie nicht auf den Lash-Booster verzichten möchten, wählen Sie ein Mittel mit möglichst wenigen, im Idealfall hochwertigen Substanzen. Denn je mehr Wirkstoffe, Hilfsstoffe und Duftstoffe das vermeintliche Wundermittel enthält, desto größer ist auch die Gefahr von Nebenwirkungen und Allergien.
Verbraucherschützer sind für Verbot
Dass Wimpernseren diesen Spagat zwischen Kosmetik und Arzneimittel machen, wird unter Verbraucherschutzaspekten kritisch gesehen. Zwar hat die Stiftung Warentest Wimpernseren keinem ihrer umfangreichen Tests unterzogen, die Warentester halten die Mittel aber vor allem wegen ihrer hormonwirksamen Inhaltsstoffe für problematisch. Das kann man in einem Artikel des unabhängigen Prüfinstituts vom Juli 2019 nachlesen.
„Experten empfehlen Verbot“ (test.de)
Nicht nur, dass es für mögliche Nebenwirkungen von Kosmetika in Deutschland keine Deklarationspflicht gibt; bei Untersuchungen des Bundesinstituts für Risikobewertung in Berlin (BfR) wurden in zahlreichen Wimpernseren Prostaglandin-Abkömmlinge in falsch oder nicht gekennzeichneter ärztlicher Konzentration gefunden. Das ist für Kosmetikartikel nicht erlaubt bzw. würden sie dann als Arzneimittel gelten und einer Zulassungspflicht unterliegen. Daher haben die Wissenschaftler 2019 sogar ein Verbot von wachstumsfördernden Wimpernmittel empfohlen.
Von Beauty-Bloggerinnen getestet: Die besten Wimpernseren
Die Warnung vor Wimpernseren kümmert die Mehrzahl der jungen Frauen, die im Internet private Schönheits-Blogs betreiben, kaum. In unzähligen Selbstversuchen haben sie Mittel aller Preisklassen getestet und verglichen. Die zumeist einhellige Meinung: Sind ausdrücklich wachstumsfördernde Stoffe enthalten, entfalten sie auch ihre Wirkung. Ein natürlicher Wirkstoffcocktail hingegen machte seine Sache hauptsächlich in der Disziplin Pflege gut. Schon die Versorgung mit Feuchtigkeit und pflegenden Inhaltsstoffen machte Wimpern weicher und glänzender und ließ sie so auch dichter erscheinen.
„Echte Klimper-Wimpern, die bis zum Himmel reichen!“ (super-twins.de)
Darf's nicht einfach nur Mascara sein?
Mascara, auch Wimperntusche genannt, ist ein Kosmetikprodukt zum Färben, Verlängern, Verdichten und Betonen der Wimpern. Es wird mit einem Bürstchen auf die Wimpern selbst aufgetragen und ist keine echte Alternative zu einem Wimpernserum, denn: Im Vergleich zu einem Wimpernbooster entsteht der Effekt bei der Tusche allein durch das Tönen der Wimpernhaare bzw. ihrer Spitzen, die dadurch mehr Volumen erhalten, dunkler, länger und dichter erscheinen. Zusätzliche optische Effekte erzielen der Mascara beigemischte Fasern, die die Wimpern temporär verlängern – jedoch nur so lange, wie Sie die Wimperntusche tragen. Mascara wirkt nicht unter der Haut und kann leicht wieder entfernt werden. Es gibt sie in verschiedenen Farbtönen, zumeist Blau, Braun und Schwarz. Mittlerweile gibt es auch Mascaras auf dem Markt, die nicht nur ein höheres Wimpernvolumen versprechen, sondern auf Basis von Biotin, Proteinen oder Kollagen das Wimpernwachstum anregen sollen. Sie enthalten jedoch keine Prostaglandine.
Hier lang zu den besten Mascaras
Lang und länger: Wimpern-Weltrekorde
Wer in verschiedenen Medien nach dem Thema stöbert, trifft dort noch auf einen weiteren Wimpern-Superlativ: So soll der in Moskau lebende Junge Muin Bachonaev 4,3 Zentimeter lange, dichte Haare am oberen und am unteren Augenlid haben. Die längsten Wimpern der Welt wachsen also ganz ohne die Hilfe irgendwelcher Wachstumsmittel. Sie sind bei dem Teenager die Folge einer Genmutation und bei Frau You Jianxia aus China mit ihren 12,4 Zentimeter eigenen Angaben nach ja das erstaunliche Ergebnis einer langen Frischekur in der Natur. Neben Wimpernserum, Wimperntusche, natürlichen Mitteln oder gar falschen Wimpern kann gerade die Natur Ihre Augen auch zum Strahlen bringen.
Wussten Sie schon …?
Schon seit Jahrtausenden wird Rizinusöl als natürliche Unterstützung für langes, dichtes Haar verwendet. Der Grund ist ganz einfach: Das Öl ist ein reichhaltiger Feuchtigkeitsspender. Ihre Augenbrauen und Wimpern brechen dadurch seltener ab, bleiben gesund und geschmeidig und erscheinen voluminöser. Rizinusöl dringt auch in tiefere Hautschichten ein und kräftigt Ihr Haar an der Wurzel. Das Beste dabei ist seine Verträglichkeit. Da es frei von jeglichen Zusatzstoffen ist, ruft es auch keine Reizungen oder Allergien hervor. Damit kann es eine natürliche Alternative zu den chemischen Wachstumsmitteln sein.